Klänge, die träumen lassen: Von Fjorden, Bergen und Tanz bei skandinavischer Sommerluft.
Die Überschrift beschreibt sehr gut den Musiknachmittag im Rahmen des Nordischen Klangs vom 4. Mai im Greifswalder St. Spiritus. Die zwei virtuosen Geigen-Duos mit Mats Edén & Guro Kvifte Nesheim sowie Marit & Thomas Westling haben das Publikum mit ihrer Folkemusikk und ihrer lockeren, aufgeschlossenen Stimmung quasi in ihre Wohnzimmer eingeladen. Wir durften dabei zuschauen, wie sie sowohl menschlich als auch musikalisch auf ganz wundervolle Weisen harmonierten. Auch Pärchen des örtlichen Vereins Boddenfolk genossen die Folkemusikk aktiv und tanzten auf einer kleinen Fläche vor der Bühne.
Beide Duos spielten Folkemusikk, doch was kann man sich darunter vorstellen?
Folkemusikk ist ein Begriff, der schwer zu definieren und einzugrenzen ist. Die ständige Debatte, was eigentlich genau Volksmusik ist, macht das nicht leichter: Verschiedene Ansätze behaupten, dass es die älteste Musik Skandinaviens sei, oder, dass die Volksmusik die Musik des eines wie auch immer definierten „Volkes“ sei. Vermutlich liegt die Wahrheit – wie bei so vielem – in der Mitte. Man kann sich allerdings darüber einig sein, dass die instrumentale Volksmusik hauptsächlich als Tanzmusik erklingt. Sie ist an keine bestimmten Instrumente gebunden, jedoch ist unter ihnen am bekanntesten die Hardangergeige (auch Hardangerfiedel genannt). Heutzutage ist es für alle Talentierte möglich, sowohl die Hardangergeige als auch Folkemusikk in den nordeuropäischen Ländern zu erlernen und sogar zu studieren.
Der Name der Hardangergeige stammt aus der Region Hardanger im Westen Norwegens und lässt ahnen, dass dieses Instrument ähnlich wie die „normale“ Geige gespielt wird: Man hat einen Bogen in der rechten Hand, mit dem man über die Saiten der Geige streicht, die man mit der linken Hand auf der Schulter hält. Die Hardangergeigerin Johanna Seim zeigte bei einem Vortrag im Rahmen des Nordischen Klangs im Vorjahr, dass ihr Instrument nicht zwingend auf der Schulter liegen muss, sondern auch in der Armbeuge gespielt werden kann – das macht Bewegungen zu der Musik einfacher. Auffällig an dieser Geige ist, dass zusätzlich zu den vier Saiten, die aktiv gespielt werden, auch vier Resonanzsaiten unterlegt sind, die (bewusst und gewollt dissonant) mitschwingen und dadurch klanglich den Anschein erwecken, dass nicht nur eine einzelne Geige gespielt wird.
Während des Auftritts von Mats & Guro hat Guro ein paar der verschiedenen Metren erläutert, in denen die Tanzlieder komponiert sein können. Diese sind vordergründig sehr simpel gehalten, damit sie tanzbar bleiben, und werden zusätzlich durch ein Stampfen der Musizierenden unterstützt. Den Charakter der Tanzmusik bekommen die Stücke ebenfalls dadurch, dass sie melodisch viele repetitive Elemente enthalten und dadurch sehr eingängig sind. Traditionell spielen die Musizierenden auswendig – Mats & Guro und Marit & Thomas hielten sich an diese Tradition.
Mats Edén & Guro Kvifte Nesheim
Mats Edén zählt schon seit den 1970er Jahren zu den prominentesten Musikern in Schweden auf dem Gebiet der traditionellen Musik. Er wirkt als Geigenspieler, Komponist und Lehrer. An diesem Musiknachmittag mit Guro Kvifte Nesheim hatte er die Rolle des Begleiters inne und setzte dabei verschiedene Geigentypen ein. Guro kommt ursprünglich aus Norwegen, hat aber in Göteborg eine Folkemusikk-Ausbildung absolviert. Seitdem hat sie bei verschiedenen Projekten mitgearbeitet und Musik von traditionellen Stücken bis hin zu freier Improvisation produziert. Neben dem Duett mit Mats spielt sie auch in anderen Besetzungen. Guro hat an diesem Abend nicht nur die Melodiestimme hervorragend umgesetzt, sondern auch die informative und sehr humorvolle Moderation übernommen.
Ihr Konzert starteten Mats und Guro mit einem Springar. Diesen hat Guro als dreischlägigen Tanz mit unterschiedlich langen Schlägen beschrieben: lang, kurz, kurz; lang, kurz, kurz... Des Weiteren gab es auch mehrere Gangar – jeder Schlag hierbei ist gleich lang und gleich stark betont. Bekanntere europäische Tanzarten waren ebenfalls dabei – zum Beispiel Walzer oder Polka.
Dank Guros Moderation erfuhr man auch über ihr persönliches Verhältnis zu den gespielten Stücken: Welches ihr Lieblingsstück ist, was sie als Kind immer mit ihrem Lehrer gespielt hat und welches das erste Stück ist, das sie auf der Hardangergeige erlernt hat. Durch dieses Mitnehmen des Publikums in die Welt des Duos, das gemeinsame Abtauchen und Verschmelzen mit der Musik, unterstützt durch warme Hintergrundbeleuchtung und einer insgesamt sehr gemütlichen Atmosphäre, bekamen die Zuhörenden und Zuschauenden den Eindruck, als würde man mit Mats und Guro in ihrem Wohnzimmer sitzen und genießen, wie sie dort gemeinsam musizieren.
Die Vielfalt der Musik – das Spiel mit Dynamik, Rhythmen und Tempo – ließ in den Köpfen Bilder entstehen von glücklichen Menschen, die auf den Wiesen zwischen den Bergen mit Blick auf die Fjorde und Seen ausgelassen tanzen. Das Stampfen der Musizierenden verstärkte diese Bilder und ließ Musik und Träumerein zu einer geschlossenen Einheit werden. Das Publikum fing an mitzuwippen. Die Tanzpärchen des Boddenfolk begannen bei bekannten Rhythmen zu tanzen, und bei der Ansage, dass keine Zeit für eine Zugabe sei, ging ein leises enttäuschtes Raunen durch die Reihen. Allerdings gepaart mit der Vorfreude auf das zweite Duo nach der Pause.
Marit & Thomas Westling
Nach der Pause kamen Marit & Thomas Westling auf die Bühne. Auch sie sind ein eingespieltes Duo, das norwegische und schwedische Volksmusik verbindet. Beide spielen seit Jahrzehnten auf höchstem Niveau und haben unabhängig voneinander Auszeichnungen erhalten. Neben ihrem gemeinsamen Musizieren leitet Marit unter anderem ein Volksmusikensemble und Thomas ist mit seiner beeindruckenden Fähigkeit, zweite Stimmen frei und virtuos zu improvisieren, auf verschiedenste Weisen tätig.
Marit & Thomas hatten gemeinsam ebenfalls eine super Stimmung auf der Bühne. Abwechselnd moderierten sie immer zwei Stücke an und spielten diese. Sie brachten nahezu abwechselnd Melodien, die zum Mitwippen oder Tanzen anregten, und solche, die durch ihre Nähe zur klassischen Musik, erfüllt von Brillanz und Harmonie durch warme, wohlige Terzparallelen zum Träumen anregten. In den Köpfen entstanden hier ebenfalls Bilder von skandinavischer Natur und Tanz, aber zusätzlich auch von der Seefahrt.
Zwischendurch erzählte Marit, dass es so viele Stücke seien, die sie sich merken müssten, weshalb fast immer einer von beiden das jeweilige Stück ganz kurz anspielte und sie dann zusammen weiter machten. Auch das verlieh dem Publikum erneut das Gefühl, dass die Musizierenden miteinander spielen, als wären sie zuhause in ihrem Wohnzimmer mit Blick durch ihre großen Fenster in die weite, sonnenbestrahlte Natur. Und wir durften Teil dieser intimen Szenerie sein.
Gleiches Genre, aber unterschiedliche Interpretation
Insgesamt war der Musiknachmittag mit Mats & Guro und Marit & Thomas sehr gelungen und hat das Publikum nachhaltig begeistert. Zudem war es auch vor allem in der Kombination eines Konzerts mit beiden Duos total spannend, die Musik mit gleicher Basis, aber unterschiedlicher Interpretation, vergleichen zu können.
Der (inklusive Pause) knapp drei Stunden dauernde Musiknachmittag bot zwei eindrucksvolle Facetten nordischer Folkemusikk. Mats & Guro präsentierten ihre Stücke mit der Hardangerfiedel im Zentrum, deren schwebender, resonanzreicher Klang sich deutlich von dem eher kernigen und auch klareren Ton der „normalen“ Geigen von Marit & Thomas abhob. Der warme, vielschichtige Klang der Hardangergeige verlangte allerdings aufgrund der vielen Saiten ein häufigeres Nachstimmen während der Stücke. Es handelte sich dabei aber nicht nur um das Korrigieren der Saiten, sondern auch um das Umstimmen der Geigen auf verschiedene Tonarten. Die Zeit, die dabei verstrich, hat das Publikum, sobald die Musik wieder einsetzte, ganz schnell vergessen. Während bei Mats und Guro das traditionelle Stampfen förmlich unter den Füßen spürbar und dauerhaft präsent war, haben Marit und Thomas dieses stilistische Mittel sehr dezent und bedacht eingesetzt.
So unterschiedlich und doch so gleich, kein Richtig und kein Falsch – ein Phänomen, dem man in der Musik häufiger begegnet – und egal wie: Es fasziniert!
Text: Anniek Becker
Fotos: Marie Westfeld