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Zwischen Gummistiefeln und Hafengold – Wie eine Stadt lebenswert wird

Die Ausstellung „Lebenswerte Stadt – 28x Stadtentwicklung in Dänemark“ beim Nordischen Klang 2025

 

Greifswald, Donnerstagabend. Die Luft ist lau, der Himmel noch hell – so eine Stunde zwischen Tag und Nacht, in der sich Ideen besonders gut entfalten. Ich betrete die Zentrale Universitätsbibliothek am Beitzplatz, wo unter dem Titel „Lebenswerte Stadt“ nicht nur eine Ausstellung, sondern auch eine Podiumsdiskussion angekündigt ist. Und sie verspricht einiges: Vertreterinnen und Vertreter aus Planung und Praxis sprechen über die Zukunft der Stadt. Es geht um Nachhaltigkeit, Beteiligung – und darum, was eigentlich eine Stadt lebenswert macht.

Der Veranstaltungsraum ist gut besucht. Etwa fünfzig Personen sind gekommen – Studierende, Planerinnen und Planer, interessierte Bürger. Das Publikum ist durchmischt, aber aufmerksam. Die Stimmung: höflich, manchmal leicht genervt – was vermutlich eher dem Thema als den Vortragenden geschuldet ist. Stadtentwicklung ist eben etwas, das alle betrifft – und jeder hat eine Geschichte und Ansicht dazu.

Die Ausstellung: Urbaner Mut aus Dänemark

Die Diskussion begleitet die gleichnamige Ausstellung, die dann noch bis zum 3. Juni in der Bibliothek zu sehen war. Kuratiert von der Königlich Dänischen Botschaft, zeigt sie 28 stadtplanerische Projekte aus Dänemark – bewusst nicht aus den Metropolen, sondern aus kleineren und mittleren Orten. Sie erzählt von Spielplätzen statt Parkplätzen, von Hafenstegen statt Brachflächen, von Gemeinschaft und Umnutzung statt Betonvisionen von gestern.

Was alle Beispiele eint: der Geist von Jan Gehl, Dänemarks wohl einflussreichstem Stadtplaner, der schon 1969 mit einem über Nacht gebauten Guerilla-Spielplatz in einem Kopenhagener Vorort ein Zeichen setzte. Seine Bücher „Leben zwischen Häusern“ und „Städte für Menschen“ sind heute Standardwerke – und der Maßstab, an dem sich viele dänische Projekte bis heute messen. Lebensqualität entsteht nicht durch Prestige, sondern durch Nähe, Bewegung, Beteiligung.

Die Runde: Botschaftsreferentin, Architekt, Stadtstratege

Birgitte Tovborg Jensen, Kulturreferentin an der Dänischen Botschaft in Berlin, eröffnet den Abend mit einem klaren Satz: „Stadtentwicklung geht alle an.“ Das ist weder PR noch Plattitüde – es ist der Kern der Ausstellung. Jensen erzählt von der langen Vorbereitung – über anderthalb Jahre Konzeptentwicklung – und betont, wie wichtig Bürgerengagement für Stadtqualität sei. Sie nennt als Beispiel eine alte Gummistiefelfabrik in Kopenhagen, die durch Initiative von Anwohnern ein neues Leben bekam. Und sie wiederholt mehrmals, was ihre Erfahrung lehrt: „Vereine, Vereine, Vereine“ – sie sind das soziale Rückgrat der Stadt.

Leon Legeland, Stadtplaner bei Gehl Architects in Kopenhagen, spricht leise, aber bestimmt. Er erzählt, dass es für seinen Beruf eigentlich keine klare Definition gebe – „Stadtplaner“ sei ein Beruf zwischen Ideal und Realität. Seine persönliche Leidenschaft gilt der Mobilität: Gehwege, Radwege, Übergänge – wie bewegen sich Menschen durch die Stadt? Das scheint für ihn der Schlüssel zur Lebensqualität.

Thilo Kaiser, verantwortlich für Stadtentwicklung in der Hansestadt Greifswald, bringt den lokalen Blick. Er spricht offen – auch von Frust. Die Greifswalder Innenstadtverkehrsplanung sei zuletzt „durch die Bürgerschaft blockiert“ worden. Das klingt einerseits nach demokratischer Reibung, andererseits nach Konflikten, die tief sitzen. Doch als er von der Hafenumgestaltung spricht, hellt sich sein Tonfall auf: „Das schönste Projekt der letzten 20 Jahre“, sagt er – und man glaubt es ihm.

Zwischen Beteiligung und Bauchgefühl

Das Publikum meldet sich – höflich, aber bestimmt. Es geht um ÖPNV, um Fußgängerzonen, um Barrierefreiheit und Bürgerbeteiligung. Manche Fragen wirken eher wie Beschwerden, persönliche Anliegen, die den Gästen auf der Bühne entgegengeschleudert werden. Die Experten reagieren gelassen – auch das ist Teil der Stadt: Nicht alle haben dieselben Vorstellungen davon, was „lebenswert“ bedeutet.

Interessant ist, wie sich in der Diskussion ein Konsens abzeichnet, der trotzdem nach Vielfalt klingt: Eine Stadt muss nicht perfekt geplant sein, sondern Nutzung ermöglichen. Sie muss nicht neu gebaut werden, sondern kann durch kluge Umnutzung wachsen. Und sie braucht nicht nur Architekten – sondern Menschen, die sich einmischen. 

Fazit: Die Stadt als Bühne – und wir als Akteure

Als ich später durch Greifswalds Straßen gehe, denke ich an Fjordbyen in Aalborg, an das Klimaquartier in Kopenhagen, an die Hafenpromenade von Svendborg – und an Greifswalds eigenen Hafen. Stadt ist immer ein Prozess. Kein Masterplan, sondern ein bewegliches Gefüge aus Wegen, Wünschen und Widerständen.

Die Ausstellung hat keine einfachen Antworten, und das Podium hatte sie auch nicht. Aber es hat etwas gezeigt, das für jede Stadtentwicklung zählt: Zuhören, Erzählen aber auch Aushalten. Vielleicht ist das am Ende die wirkliche Lebensqualität: dass Menschen Raum bekommen, sich in ihrer Stadt wiederzuerkennen – und sie mitzugestalten.

Text: Michel Hillenbach
Bilder: aus der Ausstellung