Jetzt Ticket sichern!

Was bleibt, ist Klang – ein Konzertabend der samischen Stimme

Der Konzertabend am 8. Mai war mehr als eine musikalische Darbietung – er war eine Einladung zum Zuhören, Mitfühlen und Nachdenken. Im Saal herrschte eine konzentrierte Stille, wie sie bei Konzerten selten zu finden ist. Das Publikum war gekommen, um Kari zu erleben – nicht als Performerin im klassischen Sinn, sondern als Erzählerin, die mit Stimme und Rhythmus Erinnerungen sichtbar machte.

Der Abend begann ohne große Ankündigung. Kari betrat die Bühne ruhig und zurückhaltend, der erste Joik setzte fast beiläufig ein. Doch von diesem Moment an war klar: Hier ging es nicht um Unterhaltung im üblichen Sinn. Der Joik, tief verwurzelt in samischer Tradition, stand im Mittelpunkt. Kari joikte nicht "über" Personen oder Orte – sie ließ sie durch den Klang gegenwärtig werden. Jeder Ton war verbunden mit einer Geschichte, einer Beziehung, einem Gefühl.

Ein zentrales Thema war die Erinnerung an ihren Großvater – als Kind in einem staatlichen norwegischen Internat seiner Sprache und seiner Herkunft beraubt. Seine Geschichte zog sich wie ein roter Faden durch den Abend. Kari zeigte ihn nicht nur als Opfer eines unterdrückenden Systems, sondern auch als jemand, der seinen eigenen Weg gefunden hatte: als Lehrer, als Familienmensch, als jemand, der Verantwortung übernahm. Der Joik wurde damit nicht nur Rückblick, sondern auch ein Akt der Würdigung und Weitergabe.


Im Laufe des Abends joikte Kari auch ihre Tochter – ein leiser, liebevoller Moment, in dem sich persönliche Bindung und Hoffnung für die nächste Generation verdichteten. In einem anderen Stück stand der Alta-Fluss im Mittelpunkt, ein Ort, der sowohl landschaftlich als auch politisch aufgeladen ist. Mit wenigen Klängen rief sie die samische Protestbewegung gegen den Staudamm in Erinnerung, aber auch die spirituelle Bedeutung des Flusses für die samische Gemeinschaft.

Ein weiterer Joik galt dem Meer in der Heimat ihrer Mutter, das zugleich Weite und Verwurzelung symbolisierte. Auch Rentiere, zentrales Element samischer Lebensweise und Symbol kultureller Kontinuität, fanden musikalisch ihren Raum. Besonders eindrucksvoll war ein Lied aus dem Film Samenblut, in dem sich generationsübergreifende Erfahrungen von Verlust und Stärke zu einer eindringlichen Klangcollage verdichteten.

Das Konzert war vielfältig in seiner musikalischen Gestaltung. Neben traditionellen Joik-Passagen kamen auch Elemente aus anderen musikalischen Traditionen zum Einsatz. Kari spielte auf einer Rahmentrommel, ergänzte diese mit Tabla-Rhythmen und elektronischen Klangflächen. Die musikalischen Mittel waren reduziert, aber gezielt eingesetzt. Jeder Klang hatte seine Funktion, nichts wirkte dekorativ oder überladen. Die Verbindung von traditionellen und modernen Elementen wirkte organisch – ein Ausdruck davon, wie sich kulturelle Praxis weiterentwickeln kann, ohne ihre Wurzeln zu verlieren.

Besonders auffällig war, wie sehr das Publikum Teil des Geschehens wurde. Viele Besucherinnen und Besucher suchten nach dem Konzert das Gespräch mit Kari. Sie erzählten eigene Geschichten, teilten Erinnerungen oder sprachen über das, was sie bewegt hatte. Es war keine Fan-Begegnung im klassischen Sinn, sondern ein Austausch auf Augenhöhe.

Der Abend thematisierte auch politische Realitäten – ohne erhobenen Zeigefinger, aber deutlich. Die Errichtung des Windparks Fosen auf samischem Land war einer der Bezugspunkte. Karis Musik machte erfahrbar, dass es sich dabei nicht nur um einen juristischen Streit handelt, sondern um eine tiefergehende Frage nach Mitsprache, Anerkennung und kulturellem Überleben. Ihre musikalische Auseinandersetzung war ruhig, aber bestimmt – ein künstlerischer Beitrag zu einem gesellschaftlichen Konflikt, der bis heute ungelöst ist.

Kari thematisierte zudem ihre eigene Position. Sie wuchs nicht vollständig in einem samischen Umfeld auf, empfindet aber eine starke Verbindung zur Tradition. In ihrer Arbeit steht nicht die „authentische Repräsentation“ im Vordergrund, sondern ein offener, reflektierter Zugang. Ihre musikalische Praxis versteht sich als Brücke: zwischen Nord- und Südsápmi, zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen individueller Erfahrung und kollektiver Geschichte.

Der Konzertabend wirkte lange nach – nicht durch dramatische Höhepunkte, sondern durch seine Ernsthaftigkeit, Klarheit und emotionale Tiefe. Die Stille nach dem letzten Ton war nicht leer, sondern gefüllt mit dem, was im Verlauf des Abends gemeinsam geteilt worden war: Erinnerungen, Stimmen, Fragen und Haltungen.

Was bleibt, ist nicht nur ein klanglicher Eindruck, sondern das Gefühl, Teil einer größeren Erzählung geworden zu sein. Der Joik, der gesungen wurde, war mehr als Musik – er war ein Raum, in dem sich Vergangenheit und Gegenwart begegnen konnten.


Der Joik als Klangarchitektur – Räume aus Erinnerung, Rhythmus und Resonanz. Konzertvortrag im Institut für Musikwissenschaft

Stellen Sie sich vor, Sie betreten einen Raum, der nicht aus Mauern besteht, sondern aus Klang. Jeder Ton ein Stein, jeder Rhythmus ein tragender Balken, jede Silbe ein Fenster in eine andere Welt. In genau so einen Raum führt Kari ihr Publikum – in eine architektonische Klanglandschaft, errichtet nicht mit Werkzeugen, sondern mit Stimme, Atem und jahrhundertealter Erinnerung. Der Joik, erklärt sie, ist keine bloße Musikform. Er ist ein Gebilde, ein akustisches Denkmal, das mehr ist, als es darstellt.

Jeder Joik ist wie ein Stein, der mit bloßen Silben in Form gehauen wird. Er beschreibt nicht – er verkörpert. Ein Mensch wird nicht „besungen“, sondern „gejoikt“: Man hört seine Essenz, spürt seine Gegenwart, auch wenn er schon lange nicht mehr da ist. So wird der Joik zur klingenden Manifestation von Individualität und Gemeinschaftsidentifikation – persönlich, kollektiv, und tief verwurzelt in der Person selbst.

Die zyklische, repetitiv sich öffnende Struktur des Joik ähnelt dabei nicht der westlichen Vorstellung von Melodie und Harmonie. Stattdessen erinnert sie an ein natürliches Phänomen: das stetige, nie ganz gleiche Rauschen eines Baches, der durch das Sápmi-Gebirge fließt – wiederholend, kreisend, doch nie exakt gleich. Die kurzen Phrasen, oft nur wenige Töne, kreisen wie Möwen über einem Fjord, frei und leicht, scheinbar zufällig und doch zielgerichtet. Jeder Ton trägt Bedeutung. Jeder Klang öffnet einen Raum.

Traditionell wird der Joik ohne Instrumente gemacht – ganz aus der Stimme heraus, wie ein ungebändigter Wind. Und doch hat Kari neue Wege gefunden, diesen alten Baum weiterwachsen zu lassen. Seine Wurzeln reichen tief in den samischen Boden, doch seine Äste berühren neue Himmel. Mit Rahmentrommeln – einst Werkzeug der Noaidi, der samischen Schamanen – schlägt sie den Takt eines modernen Crossover. Ihr Spiel ist keine Aneignung, sondern eine Weiterführung: respektvoll, erforschend, offen.

Die Trommel war einst mehr als ein Rhythmusgeber – sie war Medium zwischen den Welten, Sprachrohr der Geister, Wegweiser in Trancezuständen. Wenn Kari heute auf ihr spielt, geschieht etwas Ähnliches: Sie öffnet Räume, verschiebt Wahrnehmung, lädt zur inneren Reise ein. Die Tabla-Klänge, die sie von einem aus New York stammenden Künstler lernte, fügen sich nahtlos ein. Auch sie folgen einem eigenen Kreislauf – eine fremde Sprache, die plötzlich vertraut klingt. So entsteht ein klanglicher Dialog über Kontinente hinweg: zwischen dem Norden Europas und dem Süden Asiens, zwischen archaischer Tiefe und urbaner Experimentierfreude.

Die elektronische Ambient-Textur, die sich sanft unter den Joik legt, wirkt dabei nicht wie ein Fremdkörper, sondern wie ein Nebel, der sich schützend um die alte Form legt. Kari baut keine neue Welt auf den Trümmern der alten – sie lässt das Alte atmen, in neuem Licht erscheinen. Wie ein Prisma, das weißes Licht in alle Farben bricht, offenbart ihr Joik seine Vielschichtigkeit: ethnisch, spirituell, poetisch, politisch.

Sie spricht über Klang als Form des Gedächtnisses. Über eine Musik, die nicht vergessen kann, was ihr angetan wurde. Die Internate. Die Sprachverbote. Die Unsichtbarmachung. Und doch bleibt ihr Vortrag nicht im Schmerz verhaftet. Vielmehr zeigt er, wie Klang auch heilen kann. Wie der Joik, obwohl er keine Worte im klassischen Sinn kennt, doch alles sagen kann: über Würde, Zugehörigkeit, Wandlung.

Kari führt ihr Publikum durch eine Klangarchitektur, die sich nicht mit dem Lineal messen lässt, sondern nur mit dem Herzen. Und sie zeigt, dass Joik nicht statisch ist – er ist lebendig. Atmend. Offen. Jeder Joik ist ein Raum, der sich beim Betreten verändert. Ein musikalisches Zuhause für diejenigen, die ihre Wurzeln suchen. Und für all jene, die bereit sind, zuzuhören.

Untouched Nature – Das Nordlicht der Wahrheit. Gedanken zum Podiumsgespräch über die Nordeuropäische Landschaft zwischen Bewahrung und Wandel

Die Vorstellung von „unberührter Natur“ im Norden Europas ist weit verbreitet – doch sie ist oft unzutreffend. Die norwegische Landschaft ist nicht nur idyllisch, sondern auch stark verändert. Windparks wie der bei Fosen wurden ohne Zustimmung der betroffenen samischen Gemeinden errichtet. Die offiziellen Aussagen, es handele sich nur um geringe Eingriffe, stehen im Widerspruch zur Realität vieler Menschen vor Ort.

Für die Sámi bedeutet dieser Wandel eine tiefgreifende Veränderung ihrer Lebensweise. Ihre Beziehung zur Natur ist nicht nur kulturell, sondern auch wirtschaftlich verankert – Rentierzucht, Fischerei und traditionelle Wege geraten zunehmend unter Druck. In den 1970er-Jahren führten Proteste und Hungerstreiks zur Gründung eines samischen Parlaments. Doch viele Herausforderungen bleiben bestehen.

Tourismus und Infrastrukturprojekte bringen zusätzlichen Druck. Orte wie Tromsø erleben steigende Besucherzahlen, während lokale Traditionen und Sprachen Gefahr laufen, an Bedeutung zu verlieren.

Klar ist: Natur ist nicht nur Kulisse, sondern auch politischer Raum. Der Konflikt um Flächen, Ressourcen und Mitsprache zeigt, dass es um mehr geht als Umweltschutz – es geht um Rechte, Teilhabe und Gerechtigkeit.

Kari Heimen beim KinderKlang

Im Rahmen ihres Aufenthalts war Kari auch in der Stadtbibliothek zu Gast. Dort traf sie auf eine Schulklasse mit Kindern im Alter von sieben bis neun Jahren – und brachte ihnen etwas ganz Besonderes mit: den Joik, die traditionelle samische Gesangsform.

In einer altersgerechten, lebendigen Einführung erklärte sie, woher sie kommt, was der Joik ist, und warum er für viele Menschen in ihrer Heimat eine wichtige Bedeutung hat. Anders als ein normales Lied, so erfuhren die Kinder, beschreibt der Joik nichts – er bringt etwas oder jemanden zum Klingen. Ein Ort, ein Tier, ein Mensch – alles kann „gejoikt“ werden.

Nach einer kurzen Einführung durften die Kinder selbst aktiv werden. Kari zeigte ihnen einfache Joik-Techniken, erklärte Atemübungen und leitete spielerische Gesangselemente an. Die Kinder machten begeistert mit – es wurde gelacht, gelauscht, ausprobiert. Einige Kinder begannen sogar, sich gegenseitig mit einem eigenen kleinen „Joik“ zu besingen.

Die Veranstaltung war nicht nur musikalisch, sondern auch kulturell bereichernd. Die Kinder lernten etwas über das Leben im hohen Norden, über Sprache, Natur und darüber, wie Musik helfen kann, Geschichten lebendig zu halten.

Am Ende waren sich alle einig: Das war eine besondere Stunde – persönlich, nahbar und mit viel Freude verbunden. Für viele Kinder war es die erste Begegnung mit der samischen Kultur – und ganz sicher eine, die in Erinnerung bleibt.

 

Fragen an Kari: Die Melodie einer Familienchronik

Karis neue Single Sameblod (Samenblut) begann als persönliches Vorhaben: ein musikalisches Porträt ihres Großvaters, der im Alter von sieben Jahren in ein staatliches Internat gebracht wurde. Die familiäre Geschichte wurde schnell zum Ausgangspunkt einer tieferen Auseinandersetzung mit Erinnerung, Sprache und kulturellem Erbe. Aus einem Lied wurde ein Projekt über Gemeinschaftsidentifikation, Ausgrenzung und Weitergabe.

Im Zentrum steht das Schicksal eines Kindes, das aus seinem samischen Umfeld herausgelöst wurde. Im Internat war der Gebrauch der eigenen Sprache verboten, Nähe und Vertrautheit wurden durch Kontrolle ersetzt. Trotz dieser Bedingungen eignete sich Karis Großvater heimlich das Lesen und Schreiben der samischen Sprache an. Seine spätere Laufbahn als Lehrer und Rektor wird in der Musik nicht als Erfolgsgeschichte inszeniert, sondern als Beispiel stiller Beharrlichkeit – einer Haltung, die auf Bildung und Sprache setzt, um Würde zurückzugewinnen.

Karis zuvor erschienenes Album Heimen (norw. wörtlich: Das Heim/Zuhause) spiegelt diese Lebensstationen wider – aus dem Blickwinkel der nächsten Generation. Es bleibt nicht bei biografischen Fakten, sondern setzt sich mit den Folgen kultureller Auslöschung auseinander: dem Verlust der Sprache, den inneren Spannungen, aber auch den Möglichkeiten der Wiederaneignung.

Zunächst war das Album ein privater Ausdruck. Kari arbeitete daran allein, in stillen Momenten, begleitet von alten Familienfotos und Erinnerungsfragmenten. Doch als sie es erstmals öffentlich aufführte, wurde deutlich, dass es auch andere berührte. Zuhörerinnen und Zuhörer reagierten emotional – viele mit Erfahrungen eigener Entwurzelung, mit biografischen Bruchlinien oder einer unterbrochenen Beziehung zur eigenen Herkunft.

In dieser Resonanz wurde sichtbar, wie individuell erlebtes Unrecht eine kollektive Dimension annehmen kann. Karis musikalische Verarbeitung wurde zum Anknüpfungspunkt für Menschen mit ähnlichen biografischen Hintergründen – sei es aufgrund von Sprachverlust, institutioneller Entfremdung oder der Erfahrung, zwischen kulturellen Räumen aufzuwachsen.

Die Musik verweigert sich dabei einer einfachen Lesart. Sie verklärt den Großvater nicht, stilisiert ihn aber auch nicht zum Opfer. Vielmehr zeichnet sie ein differenziertes Bild eines Menschen, der zwischen Anpassung und Widerstand Wege gefunden hat, seine Integrität zu bewahren – und anderen spätere Freiräume zu ermöglichen.

So wird aus einem Musikprojekt über einen einzelnen Menschen ein Beitrag zu einer größeren Erinnerungskultur. Karis Ansatz verbindet persönliche Spurensuche mit einem klaren Bewusstsein für historische Verantwortung. Der musikalische Ausdruck wird zum Medium, in dem Erinnerung hörbar, und vielleicht auch verhandelbar wird – über Generationen hinweg,

Text und Bilder © Magne Satur