Johan Norborg und seine Band beim Nordischen Klang 2025
Am Samstag, dem 10. Mai 2025, fand in der Straze das Abschlussfest des Festivals Nordischer Klang statt. Schon beim Betreten des Gebäudes lag eine gespannte Erwartung in der Luft, die sich mit der schnell ansteigenden Publikumsmenge immer weiter intensivierte. Denn, wie sich im Verlauf des Abends herausstellte, sind Singer/Songwriter Johan Norborg und seine sechsköpfige Live-Band nicht unbekannt für die Gäste gewesen. Nachdem sich der Raum mit Parkett und Balustrade gefüllt hatte, eröffnete Festivalleiter Clemens Räthel das Programm mit einer Dankesrede an die Helfer und Organisatoren des Festivals, die seit Januar desselben Jahres leidenschaftlich die Veranstaltungen vorbereitet haben. Seine humorvollen Worte sorgten für eine freudige Atmosphäre, ohne dabei die aufrichtige Wertschätzung des Teams zu kurz kommen zu lassen. Als dann das Mikrofon an den Künstlerischen Leiter Frithjof Strauß übergeben wurde, stieg merklich die Vorfreude auf den kommenden Act, denn seine einführenden Worte über die Band bzw. dessen Einzigartigkeit in Bezug auf Lieder über Städte und besonders seine kurzen Gesangs-Einlagen, ließen den ganzen Raum förmlich glühen.
Dann war es endlich so weit: Die Band kam auf die Bühne und schuf mit einem atmosphärischen Intro einen leuchtenden Strom aus Klangfarben, der sich parallel in der farbenfrohen Bühnenbeleuchtung widerspiegelte. Außerdem fielen sofort die einheitlichen Accessoires der Bandmitglieder auf – rote Schals des Greifswalder FC. Obwohl die Schweden erst einen knappen Tag in der Stadt (und zum ersten Mal in Deutschland) waren, sprachen sie direkt in ihren ersten Worten zum Publikum über ihre unvergessliche Erfahrung in Greifswald und lobten dabei die vorher verzehrten regionalen Bratwürste. Schon nach dieser kurzen Moderation hatten sich die Musiker so viel Sympathie-Punkte gesammelt, dass sich zwischen ihnen und dem Publikum schon fast eine freundschaftliche Verbindung einstellte.
Kaum erklangen die ersten Töne des ersten Songs „Nu sjunger svalorna“, war das Publikum bereits gefesselt, doch wegen der energiegeladenen Dynamik der Töne konnte so gut wie niemand stillstehen oder sitzen bleiben: Die ganze Tanzfläche bewegte sich ausgelassen zur Musik, sodass sich jeder dabei wohlfühlen konnte, seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen. Zusätzlich animierte Johan die Gäste zum Mitsingen von sich wiederholenden Parts oder gab Anweisungen für Einsätze, wodurch der ganze Saal in Schwingung versetzt wurde. Die überwältigende Begeisterung entlud sich nach jedem Song in eruptiven und langanhaltenden Jubel, doch sobald dann Johan begann, über das nachfolgende Lied zu sprechen, herrschte im Saal eine gespannte Stille, während das Publikum gebannt seinen Worten folgte. Er erzählte beispielsweise über die Inspiration für seine Texte, woran die Zuhörer denken sollen oder wem ein Lied gewidmet ist – Johan lud uns in seine Welt ein und ließ uns Teil an seinen Erinnerungen haben.

Beim Hören von Musik in einer fremden Sprache fällt es oft schwer, den gesungenen Text zu verstehen, weswegen die gewählten Motive und Bezüge nicht erkannt werden, die den eigentlichen Grundton der Lieder stark prägen. Die Bedeutung eines Songs kann also bei noch so energiegeladenen Tönen eine ziemlich melancholische Wendung erleben, sobald man die lyrische Arbeit dahinter entdeckt. Genau das trifft für Norborgs Musik zu, denn seine Texte bewegen sich zwischen urbanem Realismus, politischer Kritik und persönlicher, intimer Liebeslyrik. Der Band ginge es vor allem darum, ihre eigenen Gefühle und Erfahrungen auszudrücken, ohne sich dabei allzu sehr darauf zu konzentrieren, was vielleicht eine breite Masse hören wollen würde. Schaut man sich die Texte an, erkennt man nämlich oft eine melancholische, gesellschaftskritische und scheinbar zynische Grundhaltung, die man anhand der freudig strahlenden musikalischen Struktur nicht direkt erkennen würde. Spannend ist hier außerdem der Kontrast zwischen ekstatisch-selbstzerstörerischen Stücken, wie „Nu sjunger svalorna“ oder „Ännu en förlorad morgondag“, die Leid als notwendige Lebenserfahrung normalisieren, gesellschaftliche Blindheit anklagen und Eskapismus mit Drogen und Alkohol romantisieren, und melancholisch-intimen Stücken, wie „Vid Triewaldsgränd“ oder „Ingen annan“, die man eher als Liebestexte lesen kann, da sie sich einerseits um die Motive von Verlassenwerden und unerfüllter Liebe, andererseits um Liebe als Rettung und Romantik drehen.
Die Band ließ uns außerdem an ihrem musikalischen Facettenreichtum teilhaben, indem sie neben stimmungsvollen Pop-Songs auch ruhigere Titel spielte, ohne, dass die gefühlvollen Wechsel einen drastischen Bruch in der Stimmung verursachten oder unerwünscht wirkten, sondern sich eher wie harmonische Wellen anfühlten, die über das Publikum hinwegrollten: Das Konzert erreichte einen sehr eindrucksvollen Moment, in dem sich die ganze Virtuosität des Pianisten zeigte, als er mit Franz Schuberts „Ständchen“ den ganzen Saal zum Schweigen brachte und kein Geräusch die erhabenen, klassischen Klänge des elektrischen Klaviers störte, sodass selbst nach dem Verklingen der letzten Töne für einige Augenblicke die atemlose Stille im Raum verblieb. Im direkten Kontrast dazu bildete das Lied „Stjärnor“ einen überwältigenden Gänsehaut-Moment als sich das Doppel-Solo der Gitarren einstellte und das Publikum dazu brachte in nicht enden wollende Begeisterungsstürme auszubrechen. Genau dieses Wechselspiel aus ruhigen und mitreißenden Songs liebe die Band besonders, wie Johan im Gespräch erklärte.

Im Verlauf des Programms konnte jedes Bandmitglied sein Können in einem kleinen Solo demonstrieren, wodurch immer wieder neue individuelle Nuancen betont und ein immer differenzierterer Klangteppich geschaffen wurde. Im Zusammenspiel der verschiedenen Instrumente, Stimmen und Stile eröffnete sich eine dynamische Bandbreite an Klängen, die die Band so einzigartig macht. Die Schweden erklärten diese Tatsache im Nachhinein am Beispiel von ihren Lieblingsmusikern (u.a. Håkan Hellström und John Coltrane): Jeder von ihnen sei von jeweils unterschiedlichen Musikrichtungen geprägt und erst wenn alle ihre speziellen Stile zusammenkommen, fühle es sich für sie richtig an. Gleiches gilt beim Schreiben der Texte, denn obwohl sie von Johan verfasst werden, hat jedes einzelne Mitglied Teil am Prozess und den Entscheidungen. Darüber hinaus verbindet die Musiker eine spürbar starke und langjährige Freundschaft, wodurch ihre gemeinsame Arbeit nicht wie eine Pflicht, sondern wie eine gelebte Leidenschaft erscheint.
Ein weitere innige Verbindung zeigt sich in ihrer Musik in Bezug auf das Großstadtleben: Die geographischen Marker und die Verankerung in der Stadt Stockholm äußern sich im Lied „Guldbroflykt“ zwar einerseits als Symbol für Enge, Orientierungslosigkeit und Bedeutungslosigkeit und lassen das Ich nach einem Weg über die Begrenzung hinweg sehnen, werden aber andererseits als Orte exzessiver Freude charakterisiert, die im Rhythmus der Nacht mit Musik und Tanz dem Ich erfüllende Befreiungsrituale bieten. Doch diesen autobiographischen Aspekt verpackt Johan in dem Lied „Du finns alltid kvar Gamla stan“, das der Höhepunkt und gleichzeitig der Abschluss des Konzertes war, als Tribut oder sogar als Liebeslied an seinen Heimatort Stockholm und besonders an dessen Altstadt. Denn mit all seinen Ambivalenzen zwischen Schönheit und Widersprüchen sieht er den Stadtteil als Teil seiner Identität – der Ort der Kindheit, der Erinnerungen, der Wurzeln – und thematisiert damit das Bleiben, das Wiederkehren und das Fortbestehen nicht mit idealisierten, sondern mit realistischen Bildern. Der Ton des Liedes ist emotional und nostalgisch, aber erschafft mit treibenden Gitarren, Piano, Bläsern und Chorgesang einen Mix aus Intimität und Feierlichkeit, der den ganzen Saal zum Beben brachte. Jubel, Gesang und Tanz steigerten sich zu einer kollektiven Euphorie, sodass Chor der Zuschauer fast die Band übertönte, so laut wurde jede Zeile mitgeschrien. Die Stimmung war so elektrisiert, dass das Publikum nach Ende des Liedes minutenlang klatschte und pfiff und die Musiker kaum von der Bühne lassen wollte. Als die Band dann die gewünschte Zugabe spielte, explodierte der Saal förmlich vor Begeisterung und dankte mit langem, kräftigem Beifall.
Danach verabschiedete sich die Band und beendete somit zwar den ersten Teil des Abschlussfestes des Nordischen Klangs, aber ließ die Gäste mit einem unvergesslichen Erlebnis zurück. Für viele war das ein Abend voller Musik und Emotionen, der noch lange in Erinnerung bleiben dürfte und dem einen oder anderen sicherlich einen Ohrwurm verschaffte. Zum Schluss blieb zusätzlich die Erkenntnis: Musik ist am stärksten, wenn sie geteilt wird, denn dadurch offenbart sich, wie sehr Musik Menschen jeglichen Alters verbinden kann.
Text: Jona Steinemann
Fotos: Jona Steinemann und Žan Vidmar Zorc